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Ist Wiesenhof besser als die Vergewaltiger selbst?

Es ist eine Schande, dass wir Feminist*innen niemals so ein kurzes Werbevideo hinkriegen würden wie die Wurstwerbung von Wiesenhof mit Atze Schröder, das die Beziehung zwischen der Vergewaltigungskultur, dem Patriarchat und Fleischkonsum so knapp und klar zusammenfasst. Dass die feministische Literatur nicht genauso einfach und verständlich ist wie die antifeministische, ist eine Hürde, die wir dringend überwinden müssen.

Die erste Frage, die man sich hier stellt ist wahrscheinlich warum Wiesenhof Vergewaltigung lustig findet, sodass in einem angeblich humorvollen Werbevideo darauf angespielt wird: Die Wurst ist so groß, dass Gina-Lisa Lohfink, die überlebende einer Vergewaltigung, nach dem Konsum dieser langen Wurst in die Traumatherapie gehen müsste.

Was Wiesenhof für ein Unternehmen ist, wissen wir. Das Material, das von PETA veröffentlicht wurde, kennen wir. Wiesenhof tut mit den Vögeln, die er züchtet und schlachtet, alles, was er für richtig hält. Wiesenhof verkrüppelt Enten, zerschreddert Küken und ihre Mitarbeiter treten die Vögel durch die Gegend, die in ihren Lagern gehalten werden. Wiesenhof verkauft Gewalt. Wiesenhof ist nichts besseres als die Männer, die Gina-Lisa Lohfink vergewaltigt haben. Darum findet Wiesenhof Gina-Lisas Leiden witzig. Wiesenhof glaubt, einen Anspruch auf alles zu haben, was kein Mann ist. Zum Beispiel auf Vögel. Oder auf das Leiden der Überlebende einer Vergewaltigung. Wiesenhof ist patriarchaler Mann in Form eines Unternehmens.

Das kann nicht sein, dass Vergewaltigung zum Witz wird und ein Unternehmen versucht durch die Gewalt, die täglich so viele Frauen erleben, Gewinn zu machen. Deutschland muss endlich verstehen, was Vergewaltigung bedeutet und dass Vergewaltigung nichts mit Sex zu tun hat. Vergewaltigung ist Gewalt, und sie wird nicht aus Geilheit oder Sexnot gemacht. Sie dient Gewalttäter als ein Instrument dabei, jemandem gegenüber ihre Überlegenheit zu demonstrieren. In dem Sinne ist ein Penis kein Geschlechtsorgan und die Gegenstände, mit denen jemand missbraucht wird, keine Sexspielzeuge. Sie sind Waffen, mit denen Menschen der Gewalt ausgesetzt werden. Es geht bei Vergewaltigungen nicht um Lust oder um das Stillen von sexuellen Bedürfnissen. Es geht alleine und nur um Gewalt und Überlegenheit.

Darum ist es so gefährlich, die Überlebende für die Angriffe verantwortlich zu machen, indem wir das infrage stellen, was sie an hatten oder wo sie sich befanden. Ob sie Alkohol oder Drogen konsumiert hatten und wie spät es war. Diese Fragen gehen von der Vorstellung aus, dass Vergewaltigung etwas mit Sex zu tun hat und dadurch wird Gewalt legitimiert. Mit unserer Gewohnheit die Überlebende für Angriffe verantwortlich zu machen, legitimieren und tolerieren wir Gewalt und werden zu Mittätern.

Stellen Sie sich ein Opfer einer Messerstecherei vor. Es gibt zwei Täter und der Angriff wird gefilmt. Das Opfer steht in der Mitte der beiden Täter und während es angestochen wird, sagt es „nein“ – so sanft, dass man es kaum hört. Würde Ihnen der Gedanke durch den Kopf schießen, dass das Opfer dieses nein nicht ernst meint? Würden Sie den Unschuld dieses Opfers infrage stellen? Würden Sie die Frage äußern, was das Opfer denn bitte um die Uhrzeit auf der Straße zu tun hatte? Was mit den Klamotten, die es trägt? Würden Sie wissen wollen, was das Opfer einer Stecherei während des Angriffs getragen hatte? Wäre es tolerierbar, Witze über diesen Angriff zu machen? Nicht, nehme ich an. Warum tun wir das alles, wenn es sich um eine Vergewaltigung handelt?

Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft. Die Überlegenheit des Mannes lässt sich in jedem Bereich des Lebens spüren. Auch wir die Nichtmänner glauben, dass alles, was es gibt, für den Mann existiert: Das Kind, das Tier, die Frau und alles, was kein Mann ist. Auch ein Mann, der einer Minderheit zugehört, oder einen schlecht bezahlten Job hat, ist am Ende des Tages ein Mann und genießt die Privilegien, die er durch sein Geschlecht erhält. Alles was es gibt, gibt es für den heterosexuellen Cis-Mann.

Unsere Götter und Propheten sind Männer. Unsere Helden und Nationalfiguren sind Männer. Die Geschichte der Welt betrachten wir aus der Perspektive des Mannes, weil sie von Männern erzählt und geschrieben wurde. Wir tolerieren und sogar begrüßen die Gewaltbereitschaft des Mannes und zweifeln es nicht an, dass sie es von Geburt an als Eigenschaft haben. Wir merken nicht, dass Männer gewaltbereit werden, weil wir es unseren Söhnen beibringen. Dass, wenn wir dies nicht tun, die Gesellschaft das für uns erledigt.

Sind die Frauen, die diese Zeilen lesen, zerbrechliche Blumen? Stehen Sie sehr auf Pink und sind sie von Geburt aus besser in Putzen und Kochen als Männer? Lächeln sie immer schön und können nicht diskutieren, weil sie kein „Diskussionsgen“ haben? Antworten sie immer mit „Schokolade“, wenn sie gefragt wird, was sie möchten? Ich nehme stark an das ist nicht der Fall. Ich finde, dass wir Frauen lernen müssen, öfter nein zu sagen, öfter zu diskutieren und zu äußern, was wir wollen. Dass wir frei leben und keine Gewalt erleben wollen. Dass wir durch unser Potenzial, unsere Intelligenz und Leistungen genauso viel Anerkennung verdienen wie Männer. Dass wir nicht nur gleich bezahlt werden wollen, sondern auch den gleichen Job haben möchten, und nicht nur in unterbezahlten Berufsfeldern überrepräsentiert werden möchten (natürlich sollten wir wollen, dass die unterbezahlten Jobs auch angemessen bezahlt werden, aber der Feminismus steht über dem Sozialismus denn auch im Sozialismus könnten Frauen vergewaltigt werden).

Viele von uns Frauen erleben sexualisierte Gewalt und überleben. Wir kämpfen jeden Tag mit den Traumata und führen unser Leben weiter. Jeden Tag kämpfen wir für unser Glück erneut und wir gewinnen jeden Tag einen Kampf. Das Patriarchat will nicht, dass wir wissen, wie stark wir sind, weil es nicht einfach ist, eine Überlegenheit abzugeben. (Und wer weiß, vielleicht hat das Patriarchat Angst, dass Frauen Männer genauso behandelt, wie Männer Frauen behandeln, wenn sie ihre Stärke eines Tages wahrnehmen.)

Wir sind stärker als viele Männer um uns herum, das dürfen wir nicht vergessen. Wir sind die richtigen Survivors.

Und wir müssen uns zusammenhalten. Nur zusammen können wir das Netz aus Frauenfeindlichkeit und Gewalt zerstören. Hand in Hand können wir die Welt verändern. Die Schwesternschaft kann gewinnen, wenn wir uns zusammenhalten.