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Was ich als Feministin von Sexarbeiterinnen lernte

Neben des Studiums und meiner journalistischen Tätigkeit, bin ich in einer pro-aktiven feministischen Organisation tätig. Wir sind insgesamt zehn Frauen, vier davon leben in unterschiedlichen Ländern, und der Rest wohnt in der Türkei. Wir bieten Internetnutzern Aktionen gegen Sexismus in der Türkei, und arbeiten ausschließlich für das türkischsprachige Publikum.

Vorletztes Jahr wurden wir als neue feministische Organisation mit einer Meldung konfrontiert: Eine transsexuelle Sexarbeiterin, Kemal Ördek, wurde in ihrer Wohnung in Ankara von zwei Cis-Männern vergewaltigt und beraubt. Als sie endlich flüchten konnte und zur Polizei ging, reagierte ein Polizist mit einem „Wann stirbt dieser Lut-Klan endlich aus?“ Sie wurde stundenlang warten lassen, bis sie aussagen konnte und während des Aussagens wurde sie immer wieder gestoppt: „Sei still, rede nicht, ohne dass dich etwas gefragt wird.“

Lut Klan sind nach dem Koran die Bewohner der Stadt Sodom, die Vergewaltigung, Inzest und Homosexualität als alltägliche Praxis auslebten. Nach Koran wurden diese zuerst durch einen Propheten gewarnt, änderten jedoch ihre Lebensweise nicht und so wurden sie von Gott zerstört. Ich bin kein Gläubiger Mensch, aber das spielt ja hier keine Rolle. Wenn ein Mensch vergewaltigt und beraubt wird, und dann für Schutz zur Polizei geht, wofür sie ja auch da ist, ist es unvorstellbar, dass er mit einem Spruch aus einer heiligen Schrift beworfen wird. In einer Demokratie zumindest.

Lange Rede kurzer Sinn: Eine Gewaltüberlebende wurde so behandelt, als wäre sie Täter. Die Täter hingegen unterhielten sich mit der Polizei, als waren für eine Hausführung im Präsidium: „Wir sind hier alle Männer, ihr könnt uns bestimmt verstehen.“ Und das Problem war, dass die Täter Recht hatten. Die Polizisten konnten sie verstehen. Sie wurden am gleichen Tag entlassen.

Die angegriffene Person war zufällig eine Aktivistin für die Rechte der Sexarbeiter_innen und so konnte ihr Aufschrei durch das Land gehen: Die kritische Medien berichteten davon und für Gerechtigkeit wurde eine Petition im Netz gestartet. Wir wurden gefragt, ob wir diese Petition unterstützen möchten und so begannen wir, als Team unter uns das Thema Sexarbeit zu besprechen.

Ich möchte hier sofort erwähnen, dass wir es nie infrage stellten, ob jemand Gerechtigkeit verdient. Das war schon seit Anfang an klar, dass wir Kemal mithelfen, ihre Stimme zu erheben. In unseren Diskussionen ging es lediglich darum, was wir für eine Haltung zur Sexarbeit haben sollen. Dafür mussten wir uns als Einzelpersonen mit unseren eigenen Gedanken auseinander setzen. Eine persönliche Katastrophe, ein traumatisches Gewalterlebnis eines Menschen hat uns als Team dazu gebracht, unsere bisherigen Gedanken infrage zu stellen. Und so habe ich gemerkt, dass ich eine ziemlich widersprüchliche Position hatte. Einerseits glaubte ich, dass die Sexarbeit nicht gleich Sklaverei heißen muss, andererseits hielt ich Sexarbeiter_innen für Opfer, und dass der Sex in einer idealen Welt nicht käuflich sein müsste.

„Politiker sind keine Nutten“

Im November veröffentlichten die Piraten NRW eine Stellungnahme zum Lobbyismus-Antrag im Landtag Nordrhen-Westfalen mit der Überschrift „Politiker sind keine Nutten“. Es handelte sich um eine Reaktion auf den Vorwurf des ZDF-Magazins Frontal 21, dass durch die SPD-Agentur Network Media GmbH Lobbygruppen und Unternehmen Gespräche mit Spitzenpolitiker_innen gegen Zahlung buchen konnten. Dem Vorwurf wurde inzwischen von dem Bundesschatzmeister Dietmar Nietan nachgegangen und es hat sich herausgestellt, dass zwischen 2010 und 2016 insgesamt 35 gesponserte Gespräche stattgefunden haben.

Um zu protestieren, dass sich Politiker_innen von Unternehmen und Lobbygruppen für Gespräche bezahlen lassen, bedienten sich die Piraten NRW von Ausdrücken wie „Politik-Prostituierte“, und die Stellungnahme wurde u.a. mit einem Frauenfoto auf den sozialen Netzwerken geteilt, die die Klischeen der Vorstellung „einer sich anbietenden Frau“ entsprechen: Mit Latex Stiefeln, breiten Beinen und Zensurstreifen.

Nach Reaktionen auf Twitter, veröffentlichte der Autor des Beitrags, Michele Marsching, eine sogenannte „Nichtschuldigung“: „Ich habe anscheinend das falsche Wort gewählt: bei der Entstehung der Bilderreihe habe ich mich beraten lassen und mir wurde gesagt, die Eigenbezeichnung ‚Nutte‘ sei korrekt – allerdings ist die Eigenbezeichung ‚Hure‘ wohl geläufig, womit ich dann mit meiner Wahl ins Klo gegriffen habe! Ich finde es erschreckend, dass jetzt nur über Bildwahl und Text diskutiert wird und nicht über das angesprochene und dahinter liegende Problem. Aber so ist die Welt…“

Die Piraten sind nicht die einzigen in der Politik, die es falsch machen. Letztes Jahr beging Fritz Kuhn, der Oberbürgermeister von Stuttgart (die Grüne) einen ähnlichen Fehler: Um die Sexkunden an die Menschenrechte der Sexarbeiter_innen zu erinnern, wurde eine Kampagne gestartet, die mit Plakaten unterstützt wurde, auf denen Ausdrücke wie „Nutten sind Menschen“ oder „Die Würde eines Menschen ist auch beim Ficken unantastbar“ zu lesen waren.

Das ganze war mir eine Faust in den Bauch. Ich mich zu der Ungerechtigkeit äußern und so fing ich an, auf Twitter Gesprächspartnerinnen zu suchen, die im Bereich Sexarbeit tätig sind oder es waren. Zwei Frauen habe ich gefragt, wie die Politiker mit ihren Problemen umgehen, und ob sie sich politisch vertreten fühlen.

„Nutte ist ein Schimpfwort“

Carmen Amicitae, eine der Gründer_innen des Berufsverbandes Erotische und Sexuelle Dienstleistungen e.V. und eine ehemalige Erotikbegleiterin, findet, dass es keine Entschuldigung für die Verwendung eines Schimpfwortes gibt: „Prostitutionsvergleiche bedienen sich des Hurenstigmas, der gesammelten Vorurteile gegen und der Abwertung von Sexarbeit. Sie nehmen diese her, um damit etwas Anderes abzuwerten, das mit sexuellen Dienstleistungen nichts zu tun hat. Niemand denkt darüber nach, dass diese Unwerturteile auf dem Rücken einer diskriminierten Gruppe gefällt werden, die dadurch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird. Wenn Vorurteile und Verachtung nicht infrage gestellt, sondern als gegeben akzeptiert und durch Vergleiche oder Schimpfworte weitergetragen werden, dann wird dadurch das Hurenstigma legitimiert. Die Idee, dass Sexarbeitende unwerte Menschen seien, wird etabliert und die Hemmschwelle für psychische und physische Gewalt gegen Sexarbeitende wird gesenkt. Gewalttäter suchen sich ihre Opfer in der Sexarbeit, weil sie davon ausgehen können, dass sich die Gesellschaft weniger für deren Schicksal interessiert. Sogar Sexarbeitende selbst neigen dazu, ihre eigene Wertlosigkeit zu akzeptieren und setzen sich seltener gegen Unrecht und Gewalt zur Wehr.“

„Man ruft lieber nach der Polizei auf, als zu Solidarität“

Carmen antwortete meine Frage, ob sich Sexarbeiter_innen politisch vertreten fühlen, mit einem klaren Nein: „Wir fühlen uns politisch nicht vertreten.“ Sie erzählte mir, dass sich Politiker_innen unterschiedlich mit den Forderungen des Berufsverbandes und den Menschen- und Arbeitsrechten der Sexarbeiter_innen auseinanderzusetzen: „Es gibt wenige Ausnahmen, die unseren Kampf begreifen und unterstützen, und diese beschränken sich nahezu ausschließlich auf Mitglieder der Opposition. Das liegt einerseits am Tabuthema ‚Sex‘, das gerade unter Konservativen und Evangelikalen große Abwehrreaktionen auslöst“, begründete sie. Was aber problematischer ist als Sex als Tabu, das laut Carmen die repressive Politik gegen Sexarbeit rechtfertigen lässt, seien vor allem die Feminist_innen, die pauschal gegen die Sexarbeit sind: „Große Teile der feministischen Bewegung ziehen aktiv gegen Sexarbeit auf, weil sie sie lediglich als Ausbeutung durch den bösen Mann und das Patriarchat wahrnehmen. Sie möchten sie nicht differenziert unter ökonomischen und intersektionalen Gesichtspunkten betrachten. Ikonen wie Alice Schwarzer oder Lena Dunham fordern lieber die völlig illusorische Abschaffung der Prostitution oder Verbote, als gemeinsam mit Betroffenen darüber nachzudenken, wie man die Situation der Sexarbeiter_innen konkret verbessern könnte. Man ruft lieber nach der Polizei auf, als zu Solidarität.“

Die Registrierung von Prostituierten war zuletzt unter der NSDAP Gesetz“

Während der Vorbereitungen des Prostitutionsschutzgesetzes sollen die Vertreter_innen der Sexarbeiter_innen mit einem großen Widerstand zu tun gehabt haben, auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen: „EMMA-Magazin und Spiegel haben uns als ‚dubiosen Verband‘ und ‚Zuhälterlobby‘ diffamiert. CDU-Politiker_innen, die von ihren Diäten jeden Tag Taxi fahren können, haben uns als privilegierte Elite abgebügelt, ohne unsere individuellen, zum Teil traumatischen Lebensgeschichten zu kennen. So was tut echt weh. Die wenigen Wohlgesonnenen in der SPD sind lieber bockig, anstatt Rückgrat zu beweisen und dem konservativen Backlash ernsthaft etwas entgegenzusetzen, weil wir darauf hinweisen, dass die Registrierung von Prostituierten zuletzt unter der NSDAP Gesetz war. Schaden entsteht Sexarbeitenden weltweit auch durch staatliche Verfolgung. Mehr Regulierung und Kontrolle bedeutet auch mehr Polizeigewalt und behördliche Repression.“

„Die Diskriminierung der Piraten betrifft mich eher als SPDler, die ihre Zeit verkaufen“

Sarah Sommerfeld, eine 25-jährige Sexarbeiterin und Feministin, glaubt nicht daran, dass Marsching Sexarbeiter_innen auf einer Augenhöhe begegnet: „Ich habe das Gefühl, dass er diese Entschuldigung geschrieben hat, nur weil es von ihm erwartet wurde. Diese standardisierte Vorstellung von der Sexarbeiterin ist bescheuert. Nicht alle Frauen, die so aussehen wie die Frau auf dem Bild, sind Sexarbeiterinnen. Er hat Aufmerksamkeit auf seine diskriminierende Gedanken gelenkt, natürlich spricht keiner mehr über das dahinter liegende Problem. Als eine Sexarbeiterin betrifft mich diese diskriminierende Sicht auf dem Beitrag viel eher, als irgend welche SPDler, die ihre Zeit verkaufen. Ich habe erstmal alle Hände voll zu tun, dieser Diskriminierung etwas entgegenzusetzen.“

Warte, ich rette dich mal schnell…

Es gibt Menschen eine gewisse Sicherheit, seinen Werten treu zu bleiben. Anstatt mit betroffenen Menschen über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu sprechen, besteht man häufig auf seine Vorurteile. Es ist einfach, und sehr bequem zu glauben, dass alle Sexarbeiter_innen Opfer sind, die gerettet werden wollen. Es fühlt sich gut an, jemandem moralisch überlegen zu sein, und eine nachhaltige Veränderung in ihr Leben bringen zu können. Auf einer gewissen Ebene ähnelt es vielleicht die Unsterblichkeit. Einen Spur in der Welt zu hinterlassen, der ewig ist. Es geht nicht immer um die Ausbeutung, die Gewalt oder die Probleme der Sexarbeiter_innen, wenn wir pauschal so handeln, als seien alle Sexarbeiter_innen Opfer des Menschenhandels, sondern häufig um uns, um unser Ich. Es beansprucht nur ein paar Gespräche mit Sexarbeiter_innen, um wahrzunehmen, inwiefern ihre Stimme stillgelegt wird, und, dass wir dringend anfangen müssen, uns eine Lösung für dieses Problem zu überlegen. Und das ist harte Arbeit, die nicht jede_r aufnehmen möchte.

Was ist meine Haltung zur körperlichen Arbeit?

Das ist eine gesunde Frage für den Umgang mit der Sexarbeit. Dr. Eric Sprankle, ein Klinikpsychologe aus den USA, schrieb einst auf Twitter „Wenn du glaubst, dass die Sexarbeiter ‚ihren Körper verkaufen‘, Kohlenbergwerkarbeiter hingegen nicht, dann ist deine Vorstellung zur [körperlichen] Arbeit getrübt von deiner moralischen Vorstellung der Sexualität.“ Und Recht hat er. Genau das ist der Zentralpunkt der Diskussion: Die eigene moralische Vorstellung der Sexualität auf den Tisch zu legen, und ehrlich mit der Frage umzugehen, ob man eine objektive Herangehensweise zum Thema Sexarbeit hat. Es ist schwierig. Unmöglich ist es nicht.

Dieser Beitrag wurde am 07.01.2017 in der Huffington Post veröfffentlicht
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