Gestern (25.6.2020) griffen türkische Faschist:innen ein linkes Zentrum in Wien an. Daraufhin twitterte der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli einen Screenshot von einem fünf Tage alten Tweet von mir und behauptete, ich würde die Grauen Wölfe (GW) in Schutz nehmen. Was selbstverständlich den Eindruck erweckte, dass mein Tweet eine aktuelle Reaktion auf den faschistischen Angriff in Wien sei. Nun, das lasse ich mir nicht gefallen. Die Sache ist nämlich anders.
Im Rahmen der Diskussion über Hengameh Yaghoobifarahs Kolumne „All Cops are berufsunfähig“ schrieb ich am 20. Juni 2020 auf Twitter, dass ich als freie taz-Autorin den Umgang der taz mit der betreffenden Kolumne daneben finde. Ich zitierte aus einem aktuellen taz-Text, in dem in Bezug auf Yaghoobifarahs Kolumne intersektional denkenden und handelnden Menschen eine Nähe zu faschistischem Denken vorgeworfen wurde. Für mich ist das nichts anderes als eine linke Version der Hufeisentheorie, die den Kampf mehrfachmarginalisierter Menschen dämonisiert. Der Ausdruck, dass Menschen, die sich aus einer intersektionalen Perspektive gegen Diskriminierung einsetzen, ihren Feinden näher seien als sie denken, fand ich vergleichbar mit einem anderen taz-Artikel, in dem der Ausdruck „türkische Nazis“ verwendet wird in Bezug auf türkische Faschist:innen. Diesen Tweet vom 20. Juni riss Küpeli aus diesem Zusammenhang und teilte nach dem faschistischen Angriff am 25. Juni, als sei er aktuell auf den Angriff bezogen. Daraus wurde der Strick gedreht, dass ich GW in Schutz nehmen würde.
Zu dem Tweet vom 20. Juni 2020: Ich halte den Ausdruck „türkische Nazis“ falsch und gefährlich. Während alle Nazis Faschist:innen sind, sind nicht alle Faschist:innen Nazis. Im Umkehrschluss würde das nämlich heißen, dass Nazis GW seien. Die unterschiedlichen Macht- und Gewaltebenen so undifferenziert in einen Topf zu werfen macht mehrere Diskriminierungsarten unsichtbar: Den Rassismus, dem türkische Faschist:innen ausgesetzt werden. Ja, eine Person kann nämlich gleichzeitig Täter:in und Opfer sein. Vor allem aber macht er den Rassismus, der türkische Faschist:innen gegen andere Minderheiten anwenden, unsichtbar.
Nazis ist es egal, welche Überzeugungen die Minderheiten haben. Diese gehören gleichermaßen vernichtet. Wenn wir alle Faschist:innen Nazis nennen, wie reden wir darüber, wenn türkische Faschist:innen von Nazis angegriffen werden? Sagen wir dann „Nazis griffen Nazis an“? War das eine milieuinterne Auseinandersetzung, die die Mehrheitsgesellschaft nichts angeht? Geben wir den Nazis die Hand für ihren Beitrag für eine pluralistische Gesellschaft?
Und wenn Minderheiten, die vom türkischen Faschismus betroffen sind, von GW angegriffen werden – was sagen wir dann? Sagen wir einfach „Es waren Nazis“? Bitte nicht. Wir müssen da genau differenzieren, welche Art der Gewalt sie genau betroffen hat. Wenn ich als alevitische Kurdin von GW angegriffen werden sollte, würde ich mir nämlich wünschen, dass die Täter:innen genau benannt werden: Keine Nazis, sondern türkische Faschist:innen. Das gilt auch für Islamist:innen, die man genauso wenig mit Nazis gleichsetzen dürfte. Den sogenannten Islamischen Staat bezeichnen wir schließlich auch nicht als Nazis, und das aus gutem Grund. Die Gewalt der Nazis, die türkischer Faschist:innen und/oder Islamist:innen sind nämlich nicht identisch. Warum sollen sie gleich behandelt werden?
Obwohl ich mehrfach eindeutig und unmissverständlich schrieb, dass ich GW für Faschist:innen halte, erweckt Ismail Küpeli mit seinen Tweets den falschen Eindruck, dass ich diese in Schutz nehmen würde. Aus seinen Kreisen schreiben Menschen meine privaten Kontakte an und versuchen diese zu einer öffentlichen Stellungnahme gegen mich zu nötigen. Mich mit falschen Vorwürfen öffentlich anzuprangern und versuchen zu isolieren, ist alles andere als eine Debatte auf Augenhöhe mit dem Ziel, einen Konsens zu finden. Viel mehr erinnert das an eine organisierte Diffamierungskampagne gegen meine Person und Arbeit.
Ich erhalte zahlreiche Nachrichten über unterschiedliche Plattformen (ja, es geht über Twitter hinaus) und werde gefragt, welche Meinung ich zu den GW habe, obwohl ich das schon mehrfach geäußert habe. Aus dem Screenshot im Tweet von Küpeli geht nämlich nicht hervor, dass ich GW in Schutz nehme. Küpeli behauptet das aber trotzdem, als würde das da stehen. Das führt dazu, dass Menschen, die das lesen, sich fragen, ob sie etwas übersehen haben könnten. Anstatt an dem Tweet von Küpeli zu zweifeln, zweifeln sie an meinen Aussagen.
Hierbei spielt das Machtgefälle zwischen Küpeli und mir eine entscheidende Rolle. Als cis Mann genießt Küpeli eine andere Glaubwürdigkeit als eine Frau wie ich. Seine Aussagen werden weniger infrage gestellt als meine, deshalb entsteht der Eindruck, dass Menschen etwas, was ich gesagt haben soll, übersehen haben könnten. Und da die weiße Mehrheitsgesellschaft die unterschiedlichen Machtebenen unter Minderheiten nicht kennt, bleibt dieses Machtgefälle unsichtbar.
Küpeli ist nämlich nicht nur ein cis Mann, sondern ein türkischer cis Mann. Er eignet sich das Kurdischsein an und dominiert öffentliche Debatten über die kurdischen Kämpfe. Er nimmt viel mehr Raum ein als Kurd:innen. Deshalb glauben viele, dass Küpeli Kurde sei. Indem er das nicht richtigstellt, befestigt er dies und spricht für Kurd:innen. Und seit gestern wirft er mir, einer alevitischen Kurdin, die bis zu ihrem 23. Lebensjahr in der Türkei leben und quer durch das rassistische, assimilierende Bildungssystem der Türkei durch musste, vor, eine Apologetin türkischer Faschist:innen zu sein. Dieser gewaltvolle Umgang ist nicht in Ordnung und strukturell gesehen höchst problematisch. Ismail Küpeli tritt nach unten.
Ich bin eine überzeugte Antifaschistin und weise jegliche Vorwürfe von Ismail Küpeli und seinen Kreisen zurück. Ich bin gegen jeden Rassismus, Antisemitismus, jede Misogynie und jeden Faschismus. Die Vorwürfe gegen mich sind absurd und unbegründet. Alle, die meine Arbeit kennen, wissen dies bereits. Diese Stellungnahme ist für jene, die mich bisher nicht kannten.