Ein Konto, dem ich auf Twitter folge, postete vor rund zwei Wochen folgendes Gezwitscher über Jessica Jones, die Serie, für die der Online Videothek-Riese Netflix zur Zeit so fleißig wirbt: “Endlich kommt die feministische Superheldin, die wir verdienen und auf die wir so lange gewartet haben: Jessica Jones.” Gespannt begann ich mir die Serie anzuschauen und hier ist meine Meinung dazu.
Ich gebe zu, dass ich keine Comics lese, allerdings habe ich als Serien-Dauerkonsumenten einen relativ hohen Anspruch, der auch vor Comicverfilmungen keinen Halt macht. Also selbst wenn ich keine Comicbücher lese, interessiert mich eine Serie über eine Superheldin sehr. Immerhin habe ich Mystique von X-Men als Wallpaper.
Wenn Sie nicht erfahren möchten, wie die Geschichte voran geht, hören Sie jetzt auf, diesen Text zu lesen.
Jessica Jones ist eine junge Frau aus New York, die als selbständige Privatdetektivin ihren Lebensunterhalt verdient. Ihren Status als Superheldin verdankt sie ihrer übermenschlichen Stärke, mit der sie zum Beispiel ein fahrendes Auto anhalten kann.
Ein Jahr vor der Handlung der Serie wurde Jessica Opfer von emotionaler und sexueller Gewalt und leidet seitdem unter dem posttraumatischen Stresssyndrom. Schnell genug erfahren wir, dass Ms. Jones nicht die einzige Person in der Stadt mit übermenschlichen Fähigkeiten ist. Die Person, die sie missbrauchte ist ein Mann names Kligrave, welcher seinen Willen auf seine Opfer übertragen kann, sodass sie tun was er möchte. So hielt er Jessica fest und ließ sie Dinge tun, die sie jetzt bereut.
Der Handlungsspielraum ist bewusst ein Jahr nach der Misshandlung angesetzt. Die Regisseurin Melissa Rosenberg erklärt Los Angeles Times warum:
“Ich glaube wir wissen alle, wie eine Vergewaltigung aussieht. Ich fürchte, dass wir alle schon im Fernsehen genug davon gesehen haben. Ich hätte persönlich keine weitere dulden können. Stattdessen wollte ich die Zestörung zeigen, die sie verursacht. Ich wollte, dass die Zuschauer die Narben des Opfers miterleben.”
Das wichtigste Merkmal von Kilgraves Fähigkeit ist, dass seine Opfer nicht ihr Bewusstsein verlieren, während sie unter seiner Kontrolle stehen und handeln. Auch wenn sie wegen dieser äußeren gedanklichen Eingabe agieren, können sie dennoch ihre Handlungen nach ihren eigenen moralischen Maßstäben bewerten, bleiben dennoch machtlos und können sich nicht wehren. Sie handeln automatisch aufgrund einer Manipulation, ihr Seelenleben und der innere Dialog bleibt dabei unberührt und funktionstüchtig. Diese Unterlegenheit der Opfer ist es, was die Serie so interessant und lebendig macht, denn auch im echten Leben zählt die Scham zu den Gefühlen der Opfer sexueller Gewalt.
Die Opfer finden sich
Jessica erhält von besorgten Eltern den Auftrag ihre vermisste Tochter Hope aufzuspüren und findet bei ihrer Recherche schnell heraus, dass sie ein weiteres Opfer von Kilgrave ist. Jessica rettet sie aus einem Hotel und gibt Hope wieder in die Obhut ihrer erleichterten Eltern, die in der nächsten Szene von ihrer eigenen Tochter im Aufzug erschossen werden. Jessica ist sich sicher, dass Hope auf Eingabe von Kilgrave gehandelt hat und sieht es als ihre Verantwortung an, dieses zu beweisen, auch wenn sie dafür Kilgrave finden muss und sich ihren Ängsten und ihrem Trauma entgegenstellen muss.
Auf legalem Wege ist Kilgrave schwer zu bekämpfen. Seine “Bewusstseinskontrolle” ist unmöglich nachzuweisen und der Justiz unbekannt, sodass sich kein Paragraph finden lässt, der diese Fähigkeit regulieren könnte. Außerdem ist Kilgrave kein reiner Vergewaltiger, der seine Opfer nachts in einem Park überfällt, sondern er ist der misshandelnde, gewalttätige (ex-) Freund, mit dem sich viele Frauen auskennen. Der Unterdrücker, der Schläger, der am nächsten Tag mit Blumen auftaucht. Er ist der, der das Wort “nein” nicht versteht. Darum wundert er sich so sehr, wenn er von Jessica mit Vergewaltigung konfrontiert wird. Seiner Meinung nach ist Jessica die Verräterin, weil er ihr schöne Sachen kaufte und sie in schicke Restaurants brachte. Seiner Meinung nach hat er alles richtig gemacht. Er merkt wahrlich nicht, dass die Frauen nicht mit eigenem Willen mit ihm schlafen. Er glaubt offensichtlich, dass die Frauen sich seinen Regeln zu unterwerfen haben, weil er mit schönen Sachen und schicken Restaurants den Preis für seine Dominanz bezahlt hat.
Kilgrave: Patriarchie im Mensch
Kilgrave zwingt die Frauen zu lächeln und verkörpert dabei die pure Patriarchie, die die Frauen zwingt immer lieb zu sein, ihre Meinungen zu unterdrücken und es ihnen nicht erlaubt, mit Männern zu diskutieren. Hope beschreibt den Zustand, unter seiner Kontrolle zu sein mit folgenden Worten: “[Meine eigene] Worte waren da, aber ganz hinten. Wie ein kleines Echo.” Das ist noch für viele Frauen in der Welt der Alltag, denen die Kontrolle über ihr eigenes Leben von ihren Männern, Vätern oder Brüdern weggenommen wird.
Es kann nicht einfach sein, solche Traumata hinter sich zu bringen. Das bestätigt auch die Selbsthilfegruppe, die ein paar andere Opfer von Kilgrave gebildet haben. Keiner von ihnen kann sich wirklich ins Leben integrieren, keiner überwindet die Reue. Dass sich in dieser Gruppe auch Männer befinden ist ein kleiner Hinweis darauf, dass nicht nur Frauen von der Patriarchie betroffen sind.
Jessica Jones betont, dass Gewalt nicht nur auf körperlicher Ebene geschiet, aber diese Botschaft wird leider zu schwach übertragen. Wenn sie stärker dargestellt wäre, hätte eine Fernsehserie tatsächlich die Chance, dazu beizutragen, das unsichtbare Problem der emotionalen Gewalt in größeren Kreisen diskutieren zu lassen. Leider wird das nur von denjenigen gesehen, die die Serie schon mit einer feministischen Brille anschauen.
Komme was wolle, müsste die Serie wenigstens von Frauen gefeiert werden. Es lohnt sich sehr, sich die Serie mal anzuschauen.
Dieser Text wurde am 08.12.2015 auf freitag.de veröffentlicht.